Samstag, 29. Januar 2011

Gewissens-Erforschung (29. 1. 2011)

"Ich hab Gewissenserforschung gehalten", das hat Johannes in den letzten Monaten seiner Krankheit häufiger gesagt. Er war schon 80 Jahre alt, und wenn er das sagte, dann kam etwas Wichtiges: So hat er mir erzählt, wie er sich mit seiner Tochter versöhnt hat, drei Jahre nach ihrem schweren Streit. Und so hat er auch gewissenhaft seine letzten Dinge geregelt. Und als sein Leben zu Ende ging, konnte er in Würde sterben. Das hat mich sehr beeindruckt.

Gewissenserforschung – das sagt heute kaum noch jemand. Das klingt nach schlechtem Gewissen, nach Enge und Strenge. Bei Johannes hab ich das ganz anders erlebt. Ihn hat das Hören auf sein Gewissen weit gemacht und frei, auch wenn sein Weg nicht leicht war.

Vor einer ganz grundlegenden Gewissensfrage stand auch die katholische Kirche im letzten Jahr. Vor genau einem Jahr hat der Jesuit Klaus Mertes, Direktor am Berliner Canisiuskolleg, einen Brief an ehemalige Schülerinnen und Schüler geschrieben – es ging um den sexuellen Missbrauch, den Mitbrüder von ihm dort begangen haben. Der Brief wurde veröffentlicht, das Tabu war gebrochen. Nach dem ersten Schock haben sich viele in der Kirche und dann auch in anderen Institutionen gefragt: Wie konnte es dazu kommen? Wo habe ich, wo haben wir weggehört, weggeschaut? Und was müssen wir jetzt tun? Daraufhin ist einiges geschehen: Hotlines wurden eingerichtet, Gespräche an runden und eckigen Tischen gestartet.

Auf mein Gewissen hören, das ist mir auch für mein Leben sehr wichtig. Ich schaffe das zwar nicht jeden Tag, aber wenn es irgend geht, setze ich mich abends hin und gucke mir den Tag noch mal an, zusammen mit Gott: Was war heute überhaupt? Was geschieht in der Welt – wie jetzt gerade in Ägypten? Was war bei mir: Wofür bin ich persönlich dankbar, was ist gelungen? Aber auch: Wen hab ich verletzt? Was hab ich mitgemacht, obwohl ich es gar nicht wollte? Vieles wird mir da erst abends klar, mit ein bisschen Abstand vom Tag. Wenn ich eben auf mein Gewissen hören kann. Was ich da höre, ist nicht immer toll, tut auch mal weh oder erfüllt mich mit Scham. Aber eigentlich weiß ich: Diese innere Stimme will mich nicht fertig machen oder klein. Sie nimmt mich ernst – sagt: Schau doch ehrlich hin, was war. Versuch es zu klären, bitte um Verzeihung. Bringe es in Ordnung, wenn es geht! Das klappt nicht immer, und ob es gelingt, hängt auch nicht nur von mir ab. Aber wenn ich es tue, dann spüre ich: So kann ich auch am nächsten Tag in den Spiegel gucken und wieder freier mit den anderen und mit Gott umgehen.

Ich glaube, ein Jahr nach dem Bekanntwerden der vielen Missbrauchsfälle steht so etwas auch für uns in der katholischen Kirche wieder an: Wieder gewissenhaft hinzuschauen und zu prüfen: Was ist in diesem Jahr geschehen? Wie geht es den Menschen, die Opfer dieser Gewalt waren, heute? Wie können wir sie weiter unterstützen, ihnen Gerechtigkeit verschaffen? Und was muss sich in unserer Kirche noch ändern, damit so etwas, wenn es irgend geht, nicht mehr vorkommen kann?

Auf das Gewissen hören – das ist nicht immer leicht, es braucht Übung und auch den Mut zu Konsequenzen. Aber es hilft, freier zu werden! Ich will mir meinen Tag nachher noch angucken, auch wenn es schon spät ist: Vielleicht mögen Sie es auch mal ausprobieren! Mir hilft es, den Tag gut abzuschließen!

Das Wort zum Nach-Schauen

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1 Kommentar:

  1. Wenn ich eine Blume liebe, muss ich damit nicht abschließen. Wenn ich ein Buch liebe, muss ich damit nicht abschließen. Wenn ich einen Menschen liebe, muss ich damit nicht abschließen.
    Liebe lässt sich weder bekämpfen noch besiegen - sie ist eben einfach vorhanden und keiner kann sie einem nehmen oder ausreden...

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