Samstag, 8. Mai 2010

Wort zum Sonntag am 8. Mai 2010



Das nächste Wort zum Sonntag
spricht Pfarrer Michael Broch aus Leonberg

Michael Broch macht sich Gedanken zu Europa aus
gegebenem Anlass, denn am 9. Mai ist Europatag.




Hier können sie den Text nachlesen
und wenn Sie wollen einen Kommentar schreiben:



Europatag

Morgen ist Europatag. So steht es in meinem Kalender. Braucht es einen solchen Tag? Ich denke schon, dass es wichtig ist, über Europa nachzudenken. Denn Europa ist mehr als offene Grenzen und eine gemeinsame Währung.
Europa ist ein Ideal, das Ideal einer Gemeinschaft religiöser, ethischer und kultureller Werte. Ein griechischer Freund hat mir einen interessanten Hinweis gegeben: Möglicherweise ist dies eine griechische Wurzel des Wortes Europa: Es ist zusammengesetzt aus “euri” und “opi”. “euri” heisst “weit” und “opi” das “Gesicht”. Europa, ein “weites Gesicht”. Nicht eng, nicht engstirnig, sondern weit und offen. Ein schönes Bild.
Drei Charakterzüge prägen dieses Gesicht. Ich möchte sie an drei Städten der Antike festmachen: Athen steht für griechisch-abendländische Philosophie und für die demokratische Idee. Stichwort: Wahlfreiheit. Rom steht für die staatliche Idee und das bürgerliche Recht. Grundlage für unsere Rechtsprechung. Jerusalem ist zwar keine europäische Stadt, aber hat Europa mit seinen jüdisch-christlichen Werten geprägt: Werte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit und Freiheit. Grund dafür ist der biblische Glaube an den Gott der Propheten, an den Gott Jesu Christi. Caritative Einrichtungen, soziale Netze hat es in der heidnischen Antike nicht gegeben.
Auch wenn der Weg zu diesen grossen Zielen ein mühsamer, oft schmerzlicher war – auf diesen drei Pfeilern gründet die Idee eines geeinten und friedlichen, eines freien und sozialen Europa. Das “Haus Europa” ist auf dem Fundament des Christlichen, des Humanen und des Sozialen aufgebaut oder es ist – mit der Bibel gesprochen – “auf Sand gebaut”. Will Europa sein “weites, menschliches Gesicht” behalten – nach innen und im Blick auf die Herausforderungen der einen Welt – dann muss es zu seiner Herkunft stehen. Dann muss es sich immer wieder seine geistigen Wurzeln bewusst machen.
Zur Zeit hat Europa einen schweren Härtetest. Mit Griechenland steckt ein europäisches Mitglied tief in der Krise. Und mit dieser Krise zeigt sich, ob Europa wirklich eine Gemeinschaft ist.
Deshalb konnte es für mich nur eine Lösung geben: europäische Solidarität mit einem Mitglied in Not. Unter Solidarität verstehe ich: offen miteinander reden, die Probleme sehen, sie benennen und sie beheben helfen, wenn darum gebeten wird. Und in freundschaftlicher Offenheit auch Konsequenzen einfordern.
Ich denke, das ist nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Ich denke, das ist sich Europa als Wertegemeinschaft auch politisch und kulturell schuldig.
Mir geht diese Krise Griechenlands auch persönlich nahe, weil ich die Griechen sehr mag. Ihre Mentalität, ihre mediterane Lebenkunst, ihr Familiensinn. Und weil ich Griechenland liebe, seine traumhaften Inseln und Landschaften, seine kulturelle Vielfalt. Und weil ich seine Religion, die Orthodoxie, sehr schätze.
Es geht aber nicht nur um Griechenland bei dieser Krise. Sondern um eine Frage, die ins Herz jeder Gemeinschaft reicht: Ob mehrere Starke zusammen stehen und einem schwächeren helfen. Darum wünsche ich Europa die Kraft und den Willen zur Solidarität. Und Griechenland wünsche ich einen langen Atem, mit dem sich seine Probleme nachhaltig lösen lassen. Damit Europa – um in diesem schönen Bild zu bleiben – sein “weites und menschliches Gesicht” behält.

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