Samstag, 13. November 2010

Auf Tuchfühlung mit den Toten


Es gibt viele Möglichkeiten, wie man von seinen Toten Abschied nehmen kann. Pfarrer Gereon Alter erzählt von einer Familie in Madagaskar, die Totenrituale kennt, die für uns ganz ungewöhnlich sind.

Erkennen Sie mich wieder? – Das Bild ist auf einer Reise durch Madagaskar entstanden. Ich war mit dem Fahrrad unterwegs. Das ist meine Art des Reisens. Möglichst nah an den Menschen und ihrem Lebensalltag. Schon nach wenigen Tagen auf dem Rad bin ich dieser Familie begegnet. Ein kurzer freundlicher Wortwechsel, und ich war eingeladen: nicht nur zu einer Übernachtung, sondern auch zu einer Famadihana. Das ist das wichtigste Fest der Madegassen, eine feierliche Totenumbettung. Die Toten werden bei diesem Fest aus ihren Grabhäusern heraus geholt. Hier sehen Sie diesen Augenblick. Die Gebeine sind nur in dünne Tücher gehüllt und werden mit Hilfe einer Bastmatte aus dem Grabhaus heraus geholt. Kaum haben die Angehörigen ihre Verstorbenen wieder in Händen, bricht ein lauter Jubel aus. Es wird gelacht, gesungen und getanzt. Dann folgen stillere Momente. Die Toten werden auf den Boden gelegt und die Lebenden kümmern sich um sie. Sie rücken ihre Gebeine zurecht, reinigen ihre Leichentücher, legen ihnen neue an. Und vor allem: sie sprechen mit ihnen. Sie erzählen ihnen, was alles geschehen ist, seit sie fortgegangen sind. Wer mit wem verheiratet ist. Welche Kinder geboren wurden. Wer krank war und wieder genesen ist. Über viele Stunden geht das so. Und erst wenn wirklich alles erzählt ist, werden die Toten wieder zurück ins Grabhaus gebracht. Dort bleiben sie, bis etwa fünf bis sieben Jahre später wieder eine Famadihana ist. Warum erzähle ich Ihnen von diesem seltsamen Ritual? – Weil ich es faszinierend finde, wie unbefangen und natürlich diese Menschen mit ihren Toten umgehen. Da ist keine Berührungsangst zu spüren. Im Gegenteil: eine große Lebendigkeit. Mich hat das ins Nachdenken gebracht über unseren Umgang mit den Toten – wenn es ihn den überhaupt noch gibt. Denn das Meiste tut ja der Bestatter und später dann der Friedhofsgärtner. Oder wissen Sie noch wie das ist, wenn ein Mensch seinen letzten Atemzug tut? Und wie es sich anfühlt, wenn man ihm die Augen schließt? Wenn man ihn wäscht und ihm sein letztes Hemd anzieht? Das haben wir an Fachleute abgegeben. Und bleiben zurück mit einer großen Scheu und Hilflosigkeit. Zumindest erleb ich das ganz häufig, wenn ich mit Angehörigen eines Verstorbenen zu tun habe.Es gibt allerdings auch Menschen, die sich gerade deshalb wieder bewusst für einen persönlichen Abschied entscheiden. Erst kürzlich noch hat mir eine ältere Dame erzählt, dass sie nicht sofort zum Telefon gegriffen hat, als ihr Mann verstorben war. Sie hat ihn in seinem Bett liegen lassen und sich eine ganze Weile zu ihm gesetzt. Später sind die Kinder gekommen und haben ebenfalls in aller Ruhe Abschied genommen. Und erst dann haben sie den Arzt und den Bestatter informiert. – Eltern entdecken wieder neu, wie wichtig es auch für Kinder ist, Abschied von ihrer Oma oder ihrem Opa zu nehmen. Sie nehmen sie selbstverständlich mit zur Beerdigung und erklären ihnen, was da geschieht. – Ein Jugendlicher schreibt einen langen Brief und legt ihn seinem Vater in die Hand. Ein Vater trägt den Sarg seines Kindes. Wieder ein anderer schaufelt das Grab selbst zu. – Es gibt so viele Möglichkeiten, lebendig Abschied zu nehmen. Und es gibt Bestatter und Pfarrer, die durchaus offen dafür sind.

Denken Sie doch einmal darüber nach, wie Sie gerne Abschied nehmen möchten von einem Menschen, der Ihnen nahe steht. Was Ihnen gut tun würde. Und was ihnen helfen könnte, ihn in Frieden gehen zu lassen.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.

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2 Kommentare:

  1. Ohnsorg-Theater

    Schwarze Hochzeit
    NDR Fernsehen

    Heute
    20:15 - 22:00 (105 Min.)
    Hugo Rendler

    Im Gasthaus "Zum grünen Eichbaum" soll die Hochzeit von Gaby und Jens gefeiert werden und - gleich nebenan - der Leichenschmaus für den verstorbenen Willibald stattfinden.

    Schon vor Jahren hatte Willibald seine Beisetzungsfeier bezahlt, nicht ahnend, dass nur sein Neffe Walter kommen würde. So versucht denn die evangelische Pastorin dem katholischen Pfarrer für die Trauerfeier die Hochzeitsgäste abspenstig zu machen. Hochzeit und Leichenschmaus unter einem Dach. Wenn das man gut geht ...

    ...und op Platt speelt se dat so:

    Swatte Hochtied

    Komödie von Hugo Rendler - Plattdeutsche Bearbeitung von Frank Grupe.

    Wirtin und Kellnerin vom Gasthaus “Zum Grünen Eichbaum” sind im Stress. Es soll nämlich nicht nur eine Hochzeitsfeier ausgerichtet werden, sondern zur selben Zeit auch ein Leichenschmaus, den der Verstorbene noch zu Lebzeiten ordentlich bestellt und bezahlt hatte. Es ist wohl tiefster Winter, aber es liegt offensichtlich nicht allein am Glatteis, dass dann zur Beerdigung nur ein einsamer Neffe erscheint. Das reduziert zwar die Zahl auswärtiger Gäste, aber dass die Einheimischen den vielfältigen Dröhnungen eines Hochzeitsfestes eher zugetan sind als einem salbungsvollen Abschied in die Ewigkeit, gehört sich nun auch wieder nicht.
    Und so versucht die für die Beerdigung zuständige evangelische Pastorin dem katholisch gesegneten Paar und ihrem Stiefbruder in Christo schnell ein paar Gäste abspenstig zu machen. Doch damit sind die Probleme noch lange nicht erschöpft. Der bestellte Alleinunterhalter kann wegen Erkältung bestenfalls röchelnd zur Stimmung beitragen, egal zu welcher. Und wo es dann noch an Konflikten fehlt, sorgen Brautmutter und Brautvater dafür, dass welche entstehen…

    - Das Ave Maria singen sie dann aber doch gemeinsam für den Verstorbenen und die beiden Brautleute und wünschen sich, dass man doch die Verstorbenen öfter und ganz selbstverständlich an den Hochzeiten teilhaben lassen und einbeziehen sollte... -

    Viele Menschen denken gar nicht mehr an Verstorbene, wenn sie erst mal unter der Erde sind oder auch vorher schon - und viele Menschen gedenken jeden Tag verstorbener Angehöriger -

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  2. Wenn Menschen von einem Sterbenden Abschied nehmen möchten und der Sterbende von Angehörigen oder Freunden, muss man ihnen das zunächst erst einmal ermöglichen und zugestehen - dem Sterbenden wie den nahestehenden Menschen, ganz gleich, ob Verwandte diese mögen oder nicht. Denn es geht ja um die letzten Bedürfnisse und Wünsche des Sterbenden, die zu respektieren sind. Es gibt jedoch viel zu viele Angehörige, die über zumeist alte Menschen bestimmen, mit wem diese umgehen dürfen und mit wem nicht und sie wie Unmündige oder Besitzgegenstände behandeln. Das ist menschenverachtend und menschenunwürdig für den sterbenden Menschen wie für die Menschen, die daran gehindert werden, sich persönlich von dem Angehörigen verabschieden zu können. Da nützt es nichts, dass Menschen sich schon lange Gedanken über das Abschied nehmen beim Sterben gemacht haben, wenn es ihnen dann verboten wird von Menschen, die die seelische Befindlichkeit ihrer sterbenden Angehörigen in keiner Weise interessiert, sondern sie nur auf sein baldiges Ableben warten.
    Abschied nehmen ist eine ganz persönliche Sache zwischen zwei Menschen. Und genauso wie einem niemand Beziehungen nehmen oder ausreden kann, hat auch keiner über den Abschied zwischen zwei Menschen zu bestimmen oder ihn anzuordnen oder ihn ohne Zustimmung zu beschließen oder zu verhindern.
    Genauso wie Menschen nicht wirklich im Voraus wissen können, ob sie die Sterbehilfe, die sie vielleicht als Gesunde einmal formuliert haben, später wirklich in Anspruch nehmen möchten, kann man auch nicht im Voraus sagen, wie man von jemandem Abschied nehmen möchte.
    Man hat ja nur bei Menschen, die einem nahestehen, das Bedürfnis, dass man sich von ihnen verabschieden möchte, wenn sie sterben müssen. Und das ist dann eben Sache dieser beiden Menschen, die das ja gemeinsam persönlich besprechen können, weil sie sich eben nahestehen. Da haben sich andere nicht einzumischen. Nahestehende müssen sich ohnehin nicht wirklich voneinander verabschieden, schon gar nicht, wenn sie noch leben. Und Tote muss man auch nicht gehen lassen, weil sie gar nicht mehr gehen können.
    Wer schon bei vielen Beerdigungen über Jahrzehnte von vielen Menschen Abschied genommen hat, hat dabei ja die Erfahrung gemacht, wie unterschiedlich Menschen miteinander umgehen und wie unterschiedlich sie sich von Menschen verabschieden oder eben nicht. Denn darüber kann man keinem Vorschriften machen, auch nicht die Kirche. Menschen wirken auf uns. Manche sind schnell vergessen, andere nicht, ob sie tot sind oder leben.
    Und jeder Mensch ist frei, nur von dem Abschied zu nehmen, von dem er Abschied nehmen will. Viele Verstorbene bereichern auch nach ihrem Tod noch unser Leben. Ob man nun die Toten alle paar Jahre aus Grabhäusern herausholt, um mit ihnen laut zu feiern und zu sprechen, wobei sie ja auch keine Ruhe finden können, oder ob man dies im Alltag tut, ist nur eine andere, aber doch ähnliche Art. Das ist jedem Menschen individuell überlassen. Denn die Seelen von Toten sind immateriell und nicht Besitztum irgend eines Menschen oder der Kirche. Und deshalb hat jeder Mensch das Recht, auf seine eigene Weise der Toten zu gedenken. Wer würde es wagen, Mozarts, Goethes oder Willy Brandts Geistesreichtümer nicht oft und oft zu würdigen, zu hören und zu lesen? Wenngleich die Berühmtheit eines Menschen nicht seinen Wert ausmacht, sondern was dieser einem bedeutet und ob man sich freut, an ihn zu denken.

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