Samstag, 6. November 2010

Der Trauer Raum geben


Es tut so gut, der Trauer endlich Raum zu geben. Endlich einmal zeigen zu dürfen, wie es wirklich in mir aussieht. Und dabei anderen zu begegnen, denen es ganz ähnlich geht oder die zumindest Verständnis haben und behutsam mit mir umgehen. Pfarrer Gereon Alter zeigt Räume, in denen das möglich ist.

Dienstagabend, 19:30 Uhr: unsere Kirche füllt sich allmählich. Es kommen Menschen, denen ich im Laufe des Jahres bei einer Beerdigung begegnet bin. Die alte Dame von nebenan, deren Mann im Januar gestorben ist. Die junge Frau, die Ende Mai ihr zweites Kind verloren hat. Die Eltern der Neunundzwangzigjährigen, die im Sommer bei einem Verkehrsunfall gestorben ist. Jeder von denen, die da kommen, könnte eine eigene Geschichte erzählen von Hoffnung und Verzweiflung, von Trauer und Schmerz.

Man kann diese Geschichten förmlich spüren. Sie liegen wie ein schwerer Nebel über allem. Kaum jemand regt sich. Die Blicke sind auf den Boden gesenkt. Ein Saxophon setzt behutsam an. Die Namen der Verstorbenen werden vorgelesen. Für jeden wird ein Licht entzündet. Die ersten fangen an zu weinen. Taschentücher werden weitergereicht. Einer nimmt seine Frau in den Arm. Ganz allmählich beginnt die Stimmung sich zu verändern. Der Schmerz steckt nicht mehr als dumpfes Gefühl im Hals und in der Magengrube fest. Er löst sich, wird sichtbar und spürbar – und verändert sich dadurch. Einer atmet ganz tief durch. Ein anderer lässt die Schultern fallen. Die ersten Blicke begegnen sich.

„Gut, dass es sowas gibt.“ hat mir gestern noch jemand gesagt. Gut, dass es solche Räume gibt, in denen Schmerz und Trauer sein dürfen. In denen ich mich nicht zusammen reißen muss und keiner „es wird schon wieder“ zu mir sagt. Räume, in denen ich trauern darf. – Es braucht so wenig, um einem Trauernden zu helfen. Das Wichtigste ist, dass man ihm seine Trauer lässt. Sie nicht wegredet oder mit Trostworten übertüncht, sondern ihr schlicht und einfach Raum gibt.

Das kann ein entsprechend gestalteter Gottesdienst sein. Das können aber auch andere Räume sein. In meiner Stadt, in Essen, gibt es einen solchen Flyer, in dem Angebote für Trauernde aufgelistet sind. Und ich staune, was es da alles gibt. Gesprächsangebote für Einzelne, Trauergruppen, Trauercafès. Spezielle Angebote für Eltern, die ein Kind verloren haben; für Angehörige eines Menschen, der sich selbst das Leben genommen hat; und auch für Menschen, die einen Sterbenden begleiten wollen. Alle Angebote mit fachlicher Begleitung. Die meisten von ihnen ohne Kosten.

Ich bin sicher: jeder von Ihnen kennt einen Menschen, der gerade trauert. Und vielleicht sind es ja sogar Sie selbst. Dann geben Sie sich einen Ruck. Es tut so gut, der Trauer endlich Raum zu geben. Endlich einmal zeigen zu dürfen, wie es wirklich in mir aussieht. Und dabei anderen zu begegnen, denen es ganz ähnlich geht oder die zumindest Verständnis haben und behutsam mit mir umgehen. Und wenn Sie nicht selber betroffen sind: weisen Sie andere auf solche Angebote hin. Ganz sicher gibt es auch in ihrer Nähe Gesprächsangebote und Trauergruppen. Vielleicht sogar einen solchen Gottesdienst, wie wir ihn am Dienstag gefeiert haben.
Trauer muss keine Sackgasse sein. Sie kann sich wandeln. Sie kann heilen. „Du hast meine Klage verwandelt in Tanz!“ heißt es im Buch der Psalmen (Ps 30,11). Da hat jemand seine Trauer überwunden und zu neuer Lebensfreude gefunden. Mich persönlich trägt ein Wort, das im Buch der Offenbarung steht. Da spricht einer aus, was er von Gott erhofft für die, die von uns gegangen sind. „Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen. Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.......Seht, ich mache alles neu“ (Offb 21,4 f.)
Kommen Sie gut durch den November.

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